Interview mit Hanspeter Born, Weltwoche-Journalist: „Unsere Freiheitsrechte nicht fahrlässig preisgeben“

Auf welchen Grundprinzipien basiert die abendländische Kultur?

Eine zentrale Rolle spielten die alten Griechen, gerade für den heutigen Freiheitsbegriff. Auch das Juden- und Christentum oder das germanische Recht hatten einen bedeutenden Einfluss, ebenso die Aufklärung. Jedoch meine ich die liberale schottische Aufklärung und nicht die französische. Letztere überschätzte die Vernunft der Menschen und hat mit ihrem Hang zu abstrakten, theoretischen Konstrukten den modernen Totalitarismus begünstigt. Heute ist auch das Prinzip „gleiche Chancen für alle“ wichtig. Es ist jedoch schwierig, eine Zivilisation bzw. deren Tradition akribisch genau zu analysieren. Denn Zivilisationen sind gewachsene Produkte. Wichtig für eine Zivilisation sind allgemeinverbindliche Regeln für das Leben, die Freiheit und den Besitz.
Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Errungenschaft der westlichen Zivilisation?

Die Herrschaft der Regeln des Gesetzes, des Rechtsstaates, zusammengefasst: „rule of law“. Es ist wichtiger, nicht eingesperrt zu werden für etwas, das man nicht getan hat, als über eine Kehrichtanlage abzustimmen. Bedenklich stimmen mich deshalb die Prozesse, wo Menschen vorschnell von parteiischen Richtern verurteilt werden. In Frankreich wurden 13 unschuldige Menschen wegen Pädophilie verurteilt.

Sehr wichtig ist auch eine funktionierende Zivilgesellschaft mit echtem Pluralismus, Föderalismus und einer blühenden Vereinskultur. Eine wichtige Bedeutung gerade für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Schweiz hat auch unsere Milizarmee. Jeder, ungeachtet seines Vermögens, seiner Sprache, seiner Bildung, hat Militärdienst zu leisten.

Die westliche Kultur rühmt sich oft, die Gleichheit der Menschen etabliert zu haben. Die Praxis scheint aber hinterherzuhinken. Immer wieder wird beklagt, dass die Geschlechter nicht tatsächlich gleichgestellt sind und Ausländer diskriminiert werden. Ihnen gegenüber gebe es viele Vorurteile, so dass die nur rechtliche Gleichheit nicht viel nütze. Reicht Leistung doch nicht, um Erfolg zu haben?

Viele tatsächliche Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten sind historisch bedingt. Der Liberalismus, der alle Menschen vor dem Gesetz gleichstellt, hatte viele Hypotheken aus der Vergangenheit zu übernehmen. Frauen hatten aber schon früher eine wichtige Stellung in der Gesellschaft. Der Roman „Anne-Bäbi Jowäger“ zeigt deutlich die Bedeutung der Frau bei wichtigen Entscheiden in der Familie.

Die Etablierung des Leistungsprinzips ist ein langwieriger, aber erfolgreicher Prozess: In den USA war mit Colin Powell ein Schwarzer Generalstabschef und Aussenminister. Derzeit haben die USA mit Condoleeza Rice eine Frau und Schwarze als Aussenministerin. Immer mehr sind auch Frauen in der Arbeitswelt gefragt. Wer etwas leistet, setzt sich auch durch. Zurück bleiben jene, die sich selbst aufgegeben haben und nur noch von den Maschinerien des Wohlfahrtsstaates ernährt werden. Der Wohlfahrtsstaat untergräbt so nicht selten selbst die Leistungsbereitschaft. So gesehen haben auch all die Gleichstellungsbüros und Antidiskriminierungsbüros etwas Kontraproduktives. Sie zementieren den Opfermythos, mit dem sich die Minderheiten selbst aufgeben.

Anderes Thema: Die Reaktionen einiger Muslime auf die Mohammed-Karikaturen hat erneut die Frage aufgeworfen, ob sich die abendländische Kultur gegen den Islam verteidigen muss? Wie sehen Sie das Verhältnis vom Islam zum Westen?

Es gibt einen ideologischen Kampf zwischen der westlichen Zivilisation und dem islamischen Extremismus, oder besser: Dschihadismus. Wie damals beim Leninismus glaubt eine kleine Gruppe von Leuten, ein Paradies auf Erden errichten zu können. Diese Leute haben ein gefährliches Sendungsbewusstsein. Das führt zwangsweise in einen Totalitarismus. Der Islamismus von heute ist durchaus mit dem Kommunismus zu vergleichen.

Inwiefern wird der Westen gefährdet bzw. ist er überhaupt noch widerstandsfähig?

In Europa grassiert eine geistige Ermüdung. Ich sehe nirgends, wie sich Menschen für Ideen aufopfern. Dafür ist der Glaube an den Erfolg des Dialogs hierzulande fast unermesslich. Dies funktioniert vielleicht innerhalb Europas, aber nicht gegenüber dem Islamismus. Ein Problem ist auch die tiefe Geburtenrate in den westlichen Staaten. Das Manko an jungen Menschen wird durch Immigranten, oft Muslime, aufgefüllt. Gerade Muslime aus den Maghreb- bzw. aus arabischen Staaten sind zum Teil sehr empfänglich für die fanatischen Lehren des Islamismus.

Insbesondere bereitet mir aber Sorge, wie wir aus falscher Rücksicht auf Minderheiten unsere Freiheitsrechte untergraben. Wenn wir in Europa Mohammed-Karikaturen veröffentlichen wollen, dann ist es unser Recht, dies auch zu tun. Unsere Freiheitsrechte mussten wir uns über lange Zeit oftmals blutig gegen die Dominanz des Klerus erkämpfen. Wir sollten sie nun nicht wieder fahrlässig preisgeben.

Auch in der Schweiz wird die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit beschränkt, etwa mit dem sogenannten Antirassismusgesetz. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin von Grund auf liberal und deshalb der Meinung, dass jeder sagen darf, was er denkt. Die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit ist zentral zur Findung der Wahrheit, das wusste schon der berühmte Philosoph Karl Pooper. Gewisse Ansichten unter Strafe zu stellen, auch wenn sie falsch sind, finde ich bedenklich. Zudem ist dieses Antirassismusgesetz unklar und einseitig. Verboten wird das Leugnen von Völkermorden. Wo beginnt der Völkermord? Hat die Türkei an den Armeniern einen Völkermord begangen? Schliesslich bleibt die Frage, warum das Antirassismusgesetz nicht auch auf das Leugnen oder Verharmlosen von sozialistischen Konzentrationslagern und Massenmorden, etwa Stalins Gulag, angewandt wird?

Ich will hier in keiner Art und Weise abstruse, pseudowissenschaftliche Äusserungen in Schutz nehmen. Dass ich dies jedoch klarstellen muss, nur weil ich im Grunde die Redefreiheit verteidigen will, wirft ein schlechtes Licht auf den Zustand unserer Demokratie.

Muslimische Fundamentalisten fordern zu Terrorakten auf, der Hass auf den Westen scheint grenzenlos. Wo liegt die Ursache dafür?

Das hat zu tun mit der grossen Stagnation der arabischen Staaten. Vor allem die jungen Araber sehen keine Zukunft für sich, ähnlich wie die Deutschen nach dem 1. Weltkrieg. Der Islamismus hat es dann leicht, diese Menschen mit dem Traum vom Kalifat zu verführen.

Oft fehlt den Gesellschaften auch die soziale Mobilität. Wer merkt, dass er trotz Leistung nicht in der gesellschaftlichen Hierarchie aufsteigen kann, verliert seine Motivation. Das ist eine der Ursachen für die Ausschreitungen in Frankreich. Die US-Gesellschaft dagegen ist deshalb so erfolgreich, weil hier die soziale Mobilität spielt. Wichtig ist gerade auch da die Rolle des Sports. Viele Secondos sind heute z.B. erfolgreiche Fussballspieler. Das motiviert die jungen Ausländer zur Integration.

Derzeit versuchen die europäischen Staaten, eine Einigung voranzutreiben. Ist die Stärkung der EU nicht ein Mittel, um dem Westen eine starke Stimme gegen die islamische Gefahr zu geben?

Die EU ist heute keine Einheit. Nicht einmal im Irakkrieg, wo man geschickt antiamerikanische Ressentiments ausnutzen konnte, waren sich die europäischen Staaten einig: Italien, Spanien, Polen etc. unterstützten die USA, Frankreich und Deutschland waren gegen den Irakkrieg. Die EU zentralisiert zudem viele Entscheidungen auf europäischer Ebene, welche die Nationalstaaten selbst besser treffen können.

Die Idee eines vereinten Europas ist letztlich eine Art Ersatzreligion, vor allem für Intellektuelle, nachdem der Kommunismus sein wahres Gesicht zum Vorschein gebracht hat. Intellektuelle haben oft Mühe mit einer freien Gesellschaft, weil sie in dieser weniger Autorität haben. Die EU ermöglicht zahlreichen Intellektuellen zahlreiche Stellungen mit Autorität.

Ich bin ein überzeugter Europäer und gerade deshalb ein EU-Skeptiker. Europa heisst Vielfalt. Die EU hingegen zerstört mit ihrer Bürokratie und ihrem Drang zur Vereinheitlichung die nationalen Besonderheiten in Europa.

Hanspeter Born (67) studierte Anglistik an der Universität Bern. Er war unter anderem Auslandredaktor bei Radio DRS in Bern. Heute arbeitet er als Journalist der Weltwoche. Er war Leichtathlet bei der GG Bern und erzielte 1965 die Schweizer Saisonbestleistung über 800 Meter. Berühmt wurde Born vor allem durch seine Recherchen zum Fall B.Z., wo er eine parteiische Justiz vermutete und an der Schuld von B.Z. zweifelte. Der Fall wurde wieder aufgerollt und Born erhielt mit seinen Darlegungen recht.

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