Interview mit Franz Jaeger: „Schengen / Dublin: Eine grosse Gefahr für die Schweizer Wirtschaft“

Der Ökonom Franz Jaeger befürchtet, dass die Schweiz einen Fehler mit schwerwiegenden Konsequenzen begeht, wenn sie sich dem EU-Recht anpasst.

Herr Jaeger, wie andere liberale Persönlichkeiten (Robert Nef, Präsident des liberalen Instituts oder Konrad Hummler, Bankier, Publizist und NZZ-Verwaltungsrat  u.a.) stehen Sie dem Beitritt zu Schengen / Dublin kritisch gegenüber. Warum?

Die Schweiz würde ihre Souveränität in zahlreichen Bereichen verlieren, die für die Wirtschaftspolitik von Bedeutung sind: Die Migrationspolitik, für welche EU-Recht dem Landesrecht vorginge, das Kriegsmaterialgesetz, das Steuerharmonisierungsgesetz, das Güterkontrollgesetz und zum Teil die Personenkontrollen…

Die Befürworter argumentieren, die Schweiz bliebe  weiterhin souverän.

Nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren müsste die Schweiz die Normen des „acquis communautaire“ übernehmen. Notfalls wäre die EU berechtigt, Massnahmen zu ergreifen, um uns dazu zu verpflichten. Sicher wäre es falsch zu sagen, die Schweiz müsste bei einem Beitritt zu Schengen / Dublin das ganze EU-Recht übernehmen, aber nichtsdestoweniger zahlreiche Aspekte. Schengen / Dublin ist ein einschneidender Eingriff in die Souveränität der Schweiz.

Wo sehen Sie besondere Probleme? Wie beurteilen Sie insbesondere die Übernahme von 500 Seiten EU-Recht, dem „acquis communautaire“?

Denken Sie nur an die Bestrebungen zur Steuerharmonisierung: Die Schweiz muss in diesem Bereich absolut souverän bleiben. Ganauso ist es in der Migrationspolitik, wo wir spezifische Herausforderungen zu meistern haben. Wir müssen hier unsere eigenen Gesetze anwenden können. Gewiss ist es möglich, dass sich das EU-Recht in eine uns passende Richtung entwickelt. Aber heute wissen wir nicht, wohin sich die EU bewegen wird!  Momentan scheint die Entwicklung in der EU mehr und mehr in Richtung eines wachstumsfeindlichen, weil bürokratischen, Zentralismus unter deutsch-französischem Diktat zu gehen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Schweiz ihre Autonomie in der Gesetzgebung beibehält. So können wir, wenn es zu unserem Vorteil ist, EU-Recht übernehmen. Aber wir müssen dies von Fall zu Fall entscheiden und nicht aufgrund eines Abkommens wie Schengen / Dublin, das uns dazu verpflichtet.

Befürworter argumentieren, mit dem Schengener-Abkommen werde unser Bankkundengeheimnis völkerrechtlich anerkannt.

Momentan ist das Bankkundengeheimnis nicht in Gefahr und Schengen / Dublin wird uns nicht helfen, es besser zu sichern. Im Gegenteil: Die Rechtshilfe würde im Bereich der indirekten Steuern ausgedehnt. Gewiss, die Schweiz hat eine sogenannte „opting-out“-Klausel ausgehandelt gegen unerwünschte zukünftige Entwicklungen des EU-Rechtes für die direkte Besteuerung. Aber damit legen wir das Bankkundengeheimnis in die Hände des Bundesrates: Wenn früher oder später die EU erneut Druck ausübt, müsste er das Bankkundengeheimnis verteidigen. Es wird klar: Wir verteidigen das Bankkundengeheimnis besser selbst, im Rahmen der direkten Demokratie.

Sehen Sie Sachzwänge, welche mit Schengen / Dublin für einen späteren Beitritt zur Zollunion entstehen?

Es handelt sich hier um das entscheidende Problem. Mit Schengen / Dublin fallen die Personenkontrollen an der Grenze weg, aber die Schweiz würde ein Zollausschlussgebiet bleiben. Es ist offensichtlich, dass wir weiter Handelshemmnisse abbauen können – und müssen, nicht nur gegenüber der EU, sondern auch gegenüber der restlichen Welt.  Aber ebenso offensichtlich wird es in der Praxis schwierig sein, Warenkontrollen ohne Personenkontrollen durchzuführen.

Was wäre der nächste Schritt?

Als Zwischenschritt würde die Bundesverwaltung geltend machen, dass die Schweiz unter diesen Bedingungen keine Warenkontrollen mehr durchführen könne. Es sei am besten, der Zollunion beizutreten. Ich bin überzeugt, Schengen / Dublin ist ein Schritt in diese Richtung.  Mit der Zollunion würde die Schweiz jegliche Autonomie und jegliches Mitentscheidungsrecht in der Konzeption unserer Handelspolitik verlieren. Das wird dann zum nächsten Schritt führen: Der EU beitreten zu können. Bern würde sagen, es gäbe keine Alternative, die Zollunion sei eine untragbare Position. Dieses Szenario hat eine Wahrscheinlichkeit von zwischen 60 und 70%. Es ist auf jeden Fall ein Risiko, das wir nicht eingehen dürfen.

Was würde die Schweiz beim EU-Beitritt verlieren?

Wir müssten höhere Zölle gegenüber Drittländern erheben, den EURO einführen und auf unsere Interessenvorteile verzichten. Wir würden in den Streit über den Stabilitätspakt hineingezogen, müssten die Mehrwertsteuer verdoppeln und die Aussenwirtschaftspolitik der EU übernehmen. Für die Schweiz wäre das eine Katastrophe.  Wir könnten uns der Welt nicht mehr weiter öffnen als der EU-Durchschnitt.

Die Tourismusverbände kämpfen momentan an vorderster Front für den Beitritt zu Schengen / Dublin. Man behauptet, der Tourismus erleide Millioneneinbussen, weil Touristen für die Schweiz ein spezielles Visum neben dem Schengen-Visum benötigen. Wie beurteilen Sie die Auswirkungen des Abkommens auf den Tourismus und die Visapolitik?

Ich kann die Tourismusindustrie verstehen, welche Vereinfachungen sucht. Andererseits scheint mir das Visa-Argument, es ist übrigens das einzige wirtschaftliche Argument für Schengen / Dublin, übertrieben. Um das Image der Marke Schweiz zu pflegen, müsste sich der Schweizer Tourismus eher von der EU-Uniformität abgrenzen als sich ihr anzupassen. Die Visa-Frage kann die Schweiz autonom regeln. Es ist auch interessant, dass EU-Länder wie Grossbritannien und Irland nicht Mitglieder von Schengen / Dublin sind, ohne dass sie Nachteile erleiden. Wir sind wirklich Mitläufer.

Sehr geehrter Herr Jaeger, besten Dank für diese Klarstellungen!
Patrick Freudiger

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